Überlagerung eines Luftbildes des Areals des Wiener Nordwestbahnhofs aus dem Jahr 2015 mit dem Einreichplan der Einbauten für die NS-Propaganda-Ausstellung „Der ewige Jude“ (1938) im Bestand des später zerstörten Bahnhofsgebäudes (schraffiert) an der Ecke Taborstraße und Nordwestbahnstraße.
Der Nordwestbahnhof als Drehort für die fiktive (noch vorübergehende) Deportations-Szene im Film „Stadt ohne Juden“ (1924) nach einer Romanvorlage von Hugo Bettauer. Blick der Kamera auf das Postgebäude, das heute noch erhalten ist. © Filmarchiv Austria
Der Mittelrisalit des Portal-Gebäudes des heute nicht mehr existenten Nordwestbahnhofs an der Taborstraße Ecke Nordwestbahnstraße diente als Träger des riesigen antisemitischen Plakates und als Eingang zur Ausstellung „Der ewige Jude“ 1938. © Bildarchiv Austria
Die Methode der fiktiven Ausgrabungen bezieht sich auf Siegmund Freuds Analogie von Psychoanalyse und Stadtarchäologie, die Freud zufolge beide jeweils anhand der Untersuchung auf den ersten Blick unscheinbar erscheinender Spuren versuchen, überlagerte oder verdrängte Schichten freizulegen: im Unterbewusstseins eines Individuums, einer Gesellschaft oder bezüglich der Bautappen und Geschichte(n) einer Stadt.
So wie sich Walter Benjamin in seinem Passagenwerk auf diese Analogie bezogen hat, so hat auch der Architekt und Architekturtheoretiker Peter Eisenman nach seiner streng strukturalistischen Frühphase ab 1978 „Excavations“ als städtebauliche Entwurfsmethode erprobt: er suchte nach realen und fiktiven Bauprojekte aus der Geschichte des konkreten Standortes, überlagerte deren Grundrisslinien und extrudierte sie ins dreidimensionale – sowohl in die Höhe als auch in die Tiefe (in das Erdreich), um aus dem Spannungsverhältnis der enstehenden Zwischenräumen dieser Überlagerungen (den „Voids”) neue Raumformationen zu schaffen.
Auch wir verstehen unsere „Ausgrabungsstätte” zum Einen als Markierung unserer voranschreitenden Erinnerungsarbeit an frühere Bauformationen und die mitunter folgenschweren Nutzungen des Bahnhofs in totalitären Zeiten: die mächtigen Gebäuden und temporären Einbauten existieren schon lange nicht mehr, sind weitgehend in Vergessenheit geraten oder aus der Erinnerung verdrängt worden. Zum anderen verstehen wir unsere “Excavations” aber auch als Vorschlag, diese gemeinsame Erinnerungen zu erhalten und als materielle Manifestationen in die zukünftige Freiraum-Gestaltung des an dieser Stelle geplanten neuen Stadtteils einzuschreiben.
The method of fictitious excavations refers to Siegmund Freud’s analogy of psychoanalysis and urban archaeology, both of which, according to Freud, attempt to uncover superimposed or repressed layers by examining traces that appear inconspicuous at first glance: in the subconscious of an individual, a society, or with regard to the materialised building stages and history(s) of a city.
Just as Walter Benjamin referred to this analogy in his famous Passagenwerk about the City of Paris, the architect and architectural theorist Peter Eisenman also proposed such “excavations” as an urban design method after his strictly structuralist early phase: Beginning in 1978 in a projct for Venice, he started to search for previous real and fictitious building projects for the very same site, then superimposed the ground plan lines of these projects and extruded them both in height and in depth (into the soil) – in order to create new spatial formations from the tense relationship of the resulting interstices of these superimpositions (the “voids”).
We, too, understand our “excavation site” on the one hand as a marker of our advancing work of remembrance of earlier building formations and the sometimes momentous uses of the station in totalitarian times: of mighty buildings and temporary installations that have long since ceased to exist, have largely been forgotten or have been suppressed from memory. On the other hand, we also understand our “excavations” as a proposal to preserve these triggers of commemoration and to inscribe them as material manifestations in the future landscape-design of the new urban development planned for this site.
1:1 Nachzeichnung der Umrisse des Bahnhofsgebäudes mit einer zitathaften Rekonstruktion der Einbauten für die Ausstellung “Der ewige Jude” (1938) am Ort des historischen Ereignisses, Installation von Michael Hieslmair & Michael Zinganel (Tracing Spaces) © Foto: Wolfgang Thaler 2021
Literatur / Quellen: