Die rote Markierung zeigt den Standort des Wiener Nordwestbahnhofs, der bis zu seiner Stilllegung 2022 den letzten innenstadtnahen Güterumschlagplatz in Wien darstellte. In Blau sind die aktuellen Standorte von Unternehmen markiert, die von 2015 bis 2022 noch am Nordwestbahnhof tätig waren, in Gelb andere bedeutende Logistik-Infrastrukturen.
Die Karte illustriert ausschnittweise die Verlagerung des Güterumschlages aus der Stadt an die neuen Logistik-Agglomerationen an ihren Peripherien und weit über die Grenzen der Stadt Wien hinaus.
Diese neuen Standorte sind auch die Ziele von Busexkursionen in Begleitung von Expert*innen des Logistik-Alltags.
ARCHIPELE WIEN SÜD
1962 wird im Stadtteil Inzersdorf das Teilstück der A2 Südautobahn eröffnet, die 1964 bis zum Knoten Wiener Neustadt reichen sollte. 1970 eröffnet die erste Etappe der Süd-Ost Tangente von Inzersdorf bis Favoriten. Hier an der Stadtgrenze zwischen den neuen leistungsfähigen Straßenverkehrsachsen und dem Bahnanschluss der Pottendorfer-Linie errichtet die Stadt Wien von 1969 bis 1972 den Wiener Großmarkt, zuerst nur als Großhandelsstandort für Obst, Gemüse und Blumen, an den im Jahr 2007 nach der Auflösung des alten Markts in St. Marx auch der Fleischmarkt angesiedelt wurde.
2002 errichtet die Post AG südlich des Großmarkts eines der 6 modernen Briefzentren Österreichs, das der Versorgung des Großraums Wien, Niederösterreich und nördliches Burgenlands dient. Aktuell wird dieser Standort zum modernsten Paket-Logistikzentrums Österreichs erweitert.
2006 wurde das Areal durch den Anschluss an die Wiener Außenring-Schnellstraße S1 massiv aufgewertet.
Im Westen entstand bereits zuvor direkt neben der Autobahn ein großer Logistik-Cluster, in dem sich u.a. auch der Fuhrpark des Busunternehmens Blaguss befindet, das 2016 bis 2022 den Nordwestbahnhof als innenstadtnahe Stellfläche für bis zu 40 Auto-Busse nutzte.
Auf einem völlig neu erschlossenen Bauland östlich der Bahnverbindung und mit unmittelbarem Anschluss an die S1 und Bahn wurden schließlich jene Infrastrukturen errichtet, die eine endgültige Schließung des Nordwestbahnhofs erst ermöglichten: 2017 der Terminal Wien Süd, ein multimodaler Hub mit Krananlagen für den Umschlag von Containern von der Schiene zur Straße, betrieben von der ÖBB-Infrastruktur AG, sowie 2022 eine Stückguthalle mit Bahnanschluss für den Umschlag von Waren auf Paletten zwischen Bahn und LKW, und deren Abholung und Zustellung im Großraum Wien. Der Stückgutverkehr wird hier jedoch nicht mehr in Partnerschaft mit ÖBB Rail Cargo sondern von einem privaten Joint Venture der großen niederländischen Spedition Raben mit dem Investor Bexity betrieben.
ARCHIPELE WIEN OST
Infolge der ersten großen Donauregulierung in den 1870-er Jahren, die das gesamte Südufer der Donau in einen linearen Hafen für moderne Donaudampfschiffe verwandelt hatte, wurden mit Verspätung in den Jahren 1889 bis 1902 vor dem Zusammenfluss von Donaukanal und Donau die eissturz-sichere Becken des Winterhafens Freudenau angelegt und an die verlängerte Donauuferbahn angeschlossen. Die Nationalsozialisten errichteten nördlich der Donau den Ölhafen Lobau und südlich den Alberner Hafen mit Silobauten für Getreide und Zement. Ihr ambitionierten Pläne eines Donau-Oder-Kanals und einer Logistikachse vom Flugfeld Aspern bis zu einem neuen Güterbahnhof in Simmering wurde zwar noch begonnen aber nicht mehr realisiert.
Heute ist der Güterumsatz per Schiff vergleichsweise unbedeutend. Nichtsdestotrotz hat sich das Areal um die Häfen durch Bahnanschluss, Nähe zu Autobahn und Flughafen als bedeutendster Logistik-Knoten für unterschiedlichste Branchen entwickelt. Seit 2008 dient der Hafen Freudenau als Container Terminal, betrieben von WienCont, einer Tochter der Wien Holding. Gleichzeitig bietet der Hafen beispielsweise das größte Freilager für Neufahrzeuge. Die Spedition Quehenberger, die eine Lagehalle und Aufträge von Großkunden der Panalpina, der zweitgrößten 2015 aufgelösten Spedition am Nordwestbahnhof, übernommen hatte, betreibt ihr Zentrallager in der Nähe des Hafens. Das seit der Eröffnung 1872 am Nordwestbahnhof tätige Unternehmen Schenker, heute DB Schenker, hat bereits 1995 sein neues großes Logistikzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft des Alberner Hafens errichtet.
ARCHIPELE WIEN NORD-WEST
Im Stadtteil Strebersdorf unmittelbar an der nördlichen Stadtgrenze entwickelte sich seit den 1950er Jahren zwischen dem Marchfeldkanal, der Donauufer-Autobahn und der Bundesstraße 3 bzw. der ehemaligen Nordwestbahnstrecke ein Industrie- und Gewerbegebiet, dessen größtes und modernstes Objekt heute das 2019 eröffnete IKEA Verteilerzentrum darstellt. Viele der älteren Betriebsgebäude werden mittlerweile neu genutzt: von den zuvor am Nordwestbahnhof tätigen Firmen sind hier das Busunternehmen Gschwindl und ANKA Pack, ein türkischer Großhändler für Lebensmittelverpackungen, eingezogen. Neben vielen kleineren Betrieben finden sich aber auch Gebetsräume für Glaubensgemeinschaften und riesige Veranstaltungsräume für migrantische Communities.
Im Osten daran anschließend entstand um das alte Gleisdreieck zwischen den ehemaligen Frachtenbahnhöfen Jedlersdorf und Floridsdorf und der Station Siemensstraße eine weitere Agglomeration von Industriebetrieben – die bedeutendstem sind die Siemens und SGP-Werke. In vielen der Lagerhallen sind Nachnutzer*innen eingezogen, vom Nordwestbahnhof beispielsweise TM Wraps, ein Autofolierer. Vermeintlich moderne Logistikanlagen aus den 1980-er Jahre wie das ehemalige Postverteilerzentrum Nord konnten mit der rasanten Entwicklung nicht mithalten und wurden durch größere und leistungsfähigere Anlagen obsolet: ein neues Paketzentrum der Post AG wurde 2019 weit außerhalb der Stadtgrenzen, in Hagenbrunn, errichtet.